Puh, das ist ein schwieriges Thema. Ich bewege mich ja viel in den sozialen Netzwerken, also ok, nur in einem und was wir alle wissen und merken: Der Ton ist rau. Diskurse und Deutungshoheit hart umkämpft. Dies ist in vielerlei Hinsicht richtig und wichtig. Menschen vergreifen sich im Ton, wenn sie wütend sind. Und vor allem die, die nie gehört werden, die unterdrückt werden, sollten wir hören. GERADE wenn sie wütend sind. Tone Policing ist dabei ein Phänomen, dass beschreibt, wenn Menschen, die etwas Diskriminierendes gesagt haben darauf aufmerksam geamacht werden, dass man das ja auch mal nett sagen könnte und dass man dann reden kann. Damit wehrt man die eigene Verantwortung oft ab, anstelle einer angemessenen Entschuldigung oder eines Zuhörens. Das ist nicht ok und sollte benannt werden. Genauso wie Derailing oder Whataboutism – das meint, den Vorwurf gegen sich damit zu ignorieren, dass man andere Themen aufmacht oder plötzlich über sich selbst spricht.
Trotzdem fällt mir oft auf, dass Diskriminierungen gegeneinander ausgespielt werden, Inhalte sowie politische Ziele verloren gehen und Diskurse nicht mehr geführt werden. So frage ich mich, ob wir noch von Tone Policing sprechen können, wenn jemand z.B. sexistisch/rassistisch/ableistisch etc. diskriminiert wird, dann aber Personen z.B. mit transfeindlichen Wörtern beleidigt und das dann gehört werden muss, weil alles andere Tone Policing ist. So gab es auch einen Fall in einem Cafe (müssen wir jetzt namentlich nicht größer drauf eingehen), in welchem der Besitzer eben dieses Cafes rassistische Wörter postete. Zurecht wurden Menschen wütend und es gab einen Shitstorm. Nach einigen Stunden und mehreren Stories wurde aber deutlich, dass diese Person sich gerade in der Psychiatrie aufhält und anscheinend unter einer akuten Psychose litt. In dieser Zeit können Halluzinationen, Wahnvorstellungen und auch Störungen im Denken auftreten. (https://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.org/psychiatrie-psychosomatik-psychotherapie/stoerungen-erkrankungen/psychosen/verlauf/) Ich fand es sehr eindeutig, dass diese Person gerade nicht wirklich wusste, was sie tut und jenseits einer Verantwortlichkeit stand, die sie vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt wieder hätte übernehmen können. Doch auch als darauf aufmerksam gemacht wurde, kam das Argument des Tone Policing, das sei ein Nazi, den man zur Rechenschaft ziehen müsse. Nun stehen sich aber zwei Probleme gegenüber. Das mangelnde Wissen und die Tabuisierung sowie Diskriminerung von Menschen mit (vor allem starken) psychischen Erkrankungen und Rassismus. Natürlich ist es alles andere als ok, wenn jemand rassistische Wörter postet, aber manchmal muss eben doch auch der Kontext angesehen werden. Es ist ein Unterschied, ob jemand in vollem Bewusstsein dafür plädiert, dass rassistische Wörter okay sind oder ob jemand akut psychotisch nicht mehr weiß, was er*sie tut. Ich denke, dass da ein „simpler“ Shitstorm nicht reicht, sondern wir uns inhaltlich damit auseinandersetzen müssen, was bestimmte Krankheiten mit Menschen machen, was Rassismus auslöst und wie wir damit umgehen können, wenn beides aufeinandertrifft. So wäre eine Kritik, die den Kontext mit einbezieht und sich Gedanken macht sicherlich hilfreicher als ein simples „ekelhaftes Nazischwein“ zu posten. Natürlich muss die Person sich später mit ihren Aussagen auseinandersetzen und sich Kritik sowie Wut stellen, aber mit der Ignoranz des Kontextes wird auch die Diskriminierung psychisch Erkrankter weiter voran getrieben. Auch hier müssen Fragen der Intersektionalität beachtet werden. Ich glaube nicht, dass es uns sonst gesellschaftlich weiterbringt.
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