Hey Buchfreund*innen,
ich habe ein kleines Interview mit Alisa Tratau geführt, der Herausgeberin von „Nicht nur Mütter waren schwanger“. In diesem Buch wurden diverse Perspektiven auf Mutter- sowie Schwangerschaft gesammelt. So erzählt Benjamin von einer trans-männlichen Schwangerschaft. Naseku von einer Pflegemutter, die entschied irgendwann die Mutter von einem anderen Kind zu werden. Alisa selbst von Kräutern, Schwangerschaftstests, Verzweiflung,Wahrsagerinnen, Fehlgeburten und ausbleibender Schwangerschaft. Eine Hebamme berichtet von den strukturellen Diskriminierungen, denen Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen ausgesetzt sind. Was heißt es, Mutter oder Eltern zu sein, wie ist es als schwarze schwangere Frau in deutschen Krankenhäusern, was ist, wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, was, wenn man nicht schwanger werden kann, was, wenn man als lesbisches Paar ein Kind will, was, wenn man adoptiert, was, wenn alle möglichen Partner* keine Kinder wollen, wie wird man behandelt, wenn man nie ein Kind haben will?
Das Buch schildert eingänglich und nachvollziehbar unterschiedlichste, unbekannte Positionen, Ängste und Wünsche von Menschen mit oder ohne Kinderwunsch. Beim Lesen stolpert man über Schönes und Trauriges, ist geschockt über Gesetze und lernt eine ganze Menge zum Thema „Kinder kriegen“.
Interview mit Alisa Tretau (Hg.)
Das Buch NICHT NUR MÜTTER WAREN SCHWANGER vereint marginalisierte Perspektive auf Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein, also Geschichten, die im heteronormativ-cis-geprägten Diskurs oft überhört werden. Dieser mainstream Diskurs geht grundsätzlich davon aus, dass Schwangerschaft etwas ist, das ganz natürlich passiert, wenn man als hetero-Paar in einem bestimmten Alter zusammen ist. Alles andere – also z.B. altersuntypische oder queere Kinderwünsche, trans-Schwangerschaften, Fehlgeburten, Abtreibungen, Pränataldiagnostik oder Reproduktionsmedizin, Rassismuserfahrungen im Kreißsaal und und und – wird kaum wahrgenommen und so tabuisiert. Das Buch ist in einer Sammelbewegung entstanden, ich habe mich auf die Suche nach „unerhörten Geschichten“ begeben und war überrascht, wie viele schmerzhafte, verschwiegene Erfahrungen rund um Kinderwunsch, Schwangerschaft und Eltern-Sein sich in meinem Umfeld abspielen, ohne, dass ich das zuvor mitbekommen hätte.
Da ich selbst mehrere Fehlgeburten erlebt habe, weiß ich, wie schwierig es ist, mit dem Tabu rund um schmerzhafte Schwangerschafts-Erfahrungen umzugehen. Gerade in der akuten Trauerzeit danach hatte ich den Eindruck, es gibt einfach keinen „guten“ Umgang mit diesen Gefühlen von Versagen und Anderssein, weder hatte ich einen, noch konnten meine Freund*innen mich auf eine Weise trösten, durch die ich mich aufgefangen gefühlt hätte. Deshalb wollte ich mit dem Buch einen Raum eröffnen, in dem ein empathisches und solidarisches Zuhören möglich ist, ohne Bewertungen oder Versuche, das Erlebte „wieder gut zu machen“.
Durch die Arbeit an dem Buch und die Reaktionen seit der Veröffentlichung habe ich gemerkt, dass ich überhaupt nicht so alleine mit meinen Erlebnissen und Gefühlen bin, wie es sich, manchmal immer noch, anfühlt. Obwohl wir ein loses Autor*innenkollektiv sind, dass sich größtenteils noch nicht einmal persönlich kennt, sind wir verbunden durch unterschiedliche Erfahrungen von Ausschluss durch „das Kinderthema“. Obwohl ich mir selbst welche wünsche, fühle ich mich z.B. auch durch den Text, in dem es um Abtreibung geht, verstanden und getröstet. Die Offenheit der Autor*innen, mit der sie über ihre sehr persönlichen, normalerweise unter Verschluss gehaltenen Erfahrungen berichten, berührt mich immer wieder besonders stark. Darin steckt für mich ein Potential der alten feministischen Weisheit, dass das Private politisch ist.
Noch während des Lektorats, also kurz vor Veröffentlichung, sind immer neue Geschichten und Textvorschläge an mich herangetragen worden. Wenn ich noch einmal etwas anders machen könnte, würde ich mir vielleicht ein halbes Jahr länger Zeit lassen, um z.B. noch Texte zu Sexarbeit und Schwangerschaft oder zu Leihmutterschaft einbinden zu können. Tatsächlich ist das Buch aber in genau einem Jahr entstanden und ich mag auch, dass es ein Kaleidoskop an Erfahrungen aufmacht, ohne Vollständigkeit zu beanspruchen. Vielleicht gibt es ja irgendwann mal einen zweiten Band?!
Total viel! Wie schon gesagt, habe ich erkannt, dass ich überhaupt nicht alleine bin und dass ich mich auch mit Personen, die ganz andere Erfahrungen gemacht haben, als ich, verbinden kann, wenn wir es schaffen, unsere jeweilige Scham zu überwinden und uns erst einmal offen zuhören, bevor wir anfangen, an den schmerzhaften Gefühlen des Gegenübers herumzudoktorn. Überhaupt habe ich aufgehört, so viel an meinen Gefühlen und meinem Körper herumdoktorn zu wollen, der macht das schon alles ziemlich gut! Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Ansprüchen, die an bestimmte Körperlichkeiten und Gender-Identitäten bezüglich Kinderwunsch gestellt werden, fand ich auch super spannend: also da ist zum einen das ständige Schwanger-werden-müssen-Diktat, mit dem heterosexuelle cis-Frauen konfrontiert werden, und zum anderen das völlige Unverständnis und die rechtliche Diskriminierung gegenüber trans-Männern, die schwanger werden, oder gegenüber lesbischen Paaren, die sich Kinder wünschen. Diese unterschiedlichen Standpunkte als Herausgeberin sensibel „unter einen Hut“ zu bringen, war eine große und absolut bereichernde Herausforderung für mich.
Das Buch endet mit einem kollektiv verfassten Manifest, zu dem jede*r Autor*in einen oder mehrere Sätze beigesteuert hat. Ich mag darin vor allem: I want kin without birth and pregnancy without gender.“ Darin steckt für mich die Utopie unvoreingenommener Wahlverwandtschaften und auch der Wunsch nach einem gesellschaftlichen Blick auf Kinderwunsch, Schwangerschaft und Elternsein, der erst einmal fragt: Was wünschst du dir?, bevor geurteilt wird, ob dieser Wunsch angemessen ist oder nicht. Davon abgeleitet kann ich dann auch ganz konkrete Wünsche formulieren: dass es einen diskriminierungsfreien Zugang zu Reproduktionsmedizin gibt, unabhängig von sexueller Orientierung, Alter und Beziehungsstatus, dass trans-Männer als Väter der Kinder, die sie geboren haben, rechtlich anerkannt werden, und dass der Paragraph 219a, der Abtreibungen kriminalisiert, endlich abgeschafft wird. Für all das wäre der diesjährige 8. März doch das perfekte Datum! |
Read it, if you like 🙂
„Nicht nur Mütter waren schwanger“ / Alisa Tretau (Hg.) /edition assamblage / 14,00 Euro